Abwrackprämie für Mode

Fair und nachhaltiger Modeeinzelhandel "gruene wiese" berichtet über die Hilfsmaßnahmen in der Krise und wie wir Unterstützen können

vor 3 Jahren

Dass Anfang Januar die Verlängerung des Lockdowns beschlossen würde, hatten wir uns schon gedacht. Für Modeeinzelhändler*innen war das eine kaum zu fassende Katastrophe. Die erneute Verlängerung bis mindestens in den März zieht Modehändler*innen, die wie wir überwiegend stationär und nur wenig online verkaufen, endgültig den Boden unter den Füßen weg.

Die Modeläden sitzen auf viel zu viel Winterware, die täglich an Wert verliert. Und sie brauchen die Erlöse aus dem Verkauf dieser Ware, um die eintreffenden Frühjahrskollektionen zu bezahlen. Die Ware wurde bereits vor über 6 Monaten verpflichtend bestellt und muss abgenommen werden. Die Marken haben die Ware auch bereits bei den Produktionsunternehmen bezahlen müssen und brauchen nun das Geld von den Einzelhändler*innen zurück. Es geht dabei schon bei unseren ja verhältnismäßig kleinen Läden um einen 6-stelligen Betrag.

Mit Click&Collect und Onlineshopping erzielen Läden wie unsere beiden Stores (gruene wise / AFAUN) nur einen Bruchteil der Umsätze, die sonst in den Läden gemacht werden. Je zentraler die Lage, je mehr lebt ein Laden auch von Laufkundschaft und die gibt es im Internet nicht. Wir freuen uns über jede Bestellung die hereinkommt und natürlich gilt auch hier "every little helps". Aber um die Rechnungen zur neuen Saison zu begleichen ist das leider bei Weitem nicht genug.

Es gibt zudem derzeit einen generellen starken Einbruch des Modekonsums. Das ist ja auch nicht erstaunlich, wenn viele nur noch im Homeoffice arbeiten, Kultur und andere Freizeitaktivitäten stark eingeschränkt sind und es den Meisten schlicht an Anlässen fehlt, um ein neues Lieblingsteil jenseits von Everyday-Basics zu tragen.

Das besondere Liquiditätsproblem der Modebranche

Unsere Branche mit ihren spezifischen Bedingungen des geballten saisonalen Wareneinkaufs ist leider bisher bei allen Hilfsprogrammen weitgehend durchs Raster gefallen. Trotzdem waren wir vorsichtig optimistisch, dass nach den neuen Ankündigungen sich nun auch verstärkt um den Modeeinzelhandel und explizit um das Problem saisonaler Ware zu gekümmert wird. Zu unrecht. Leider hat die Bundesregierung trotz diverser Aktionen und Kampagnen noch immer nicht verstanden, worum es bei dem Liquiditätsproblem im Einzelhandel geht.

In den von Lockdown Light und später vollem Lockdown betroffenen Monaten November und Dezember werden normalerweise sehr hohe kurzfristige Gewinne erzielt, denn in diesen Monaten findet fast kein Wareneinkauf statt. Damit fällt in diesen Monaten der größten Kostenpunkt im Modeeinzelhandel weg. Die Winterware wird nämlich in August, September und Oktober gekauft. Die kurzfristigen Gewinne aus November und Dezember braucht der Modeneinzelhandel zu großen Teilen dafür im Januar, Februar und März die Ware für die neue Saison zu bezahlen. Fallen diese Gewinnmonate aus, fehlt schnell sehr viel Geld.

Hilfen, die nicht helfen

Hilfsanspruch haben Modehändler*innen nur, wenn sie einen Umsatzrückgang gegenüber dem selben Monat im Vorjahr von mindestens 30% nachweisen können. Das gelingt uns z.b. für den November trotz massiver Umsatzeinbrüche im neuen, sehr zentral gelegenen AFAUN Store nicht, da die Umsätze von beiden Läden zusammengerechnet werden, der neue Laden im Vorjahr aber noch gar keine Umsätze hatte, die zurückgehen könnten. Er hat 2019 einfach noch nicht existiert. Auch für Dezember reduziert der AFAUN Store die Umsatzeinbrüche vom gruene wiese Store und wie es aussieht ganz knapp sogar soweit, dass wir auch für diesen Monat gar keine Hilfe bekommen. Das alles bei quasi verdoppelten Fixkosten durch den neuen Laden.

Das Problem der nicht berücksichtigten Umsatzrückgänge bei zugleich gesteigerten Fixkosten betrifft alle Händler*innen, die 2020 nach irreversibler Planung in 2019 einen zweiten oder dritten Laden eröffnet haben, oder in ein größeres, zentraleres und damit teureres Ladenlokal umgezogen sind. Nach einem eh schon sehr schwierigen Start mitten in der Pandemie werden diese Unternehmen nun bei den Hilfen auch noch besonders hart benachteiligt. Dabei ist diese Problematik sowohl von Verbänden als auch von der Partei "Die Grünen" in den entsprechenden Ausschüssen eingebracht worden.

Für Januar und Februar werden wir antragsberechtigt sein. Anders als die Gastronomie, die zumindest für November und Dezember eine sehr großzügige Entschädigung nach Umsatzverlust erhält, bekommt der Einzelhandel jedoch immer nur anteilige Erstattungen von Fixkosten wie Miete, Strom und Heizung. Überschlagen dürfte das bei uns für beide Monate zusammen etwa ein 20-stel von dem sein, was wir seit Mitte Dezember an Umsatz verloren haben. Das hilft uns ehrlich gesagt überhaupt nicht. Es fühlt sich mehr an, als würden wir verhöhnt.


Eine Abwrackprämie für Mode

Die nun zusätzlich von der Bundesregierung beschlossene Anrechnung der Saisonware als Fixkosten hilft da auch nicht weiter. Es soll der nachgewiesene Wertverlust der Ware gegenüber dem Einkaufspreis erstattet werden. Und das auch nur mit einem Prozentsatz, der sich am Umsatzrückgang bemisst. Reduzieren wir in unserem Bereich der nachhaltigen Mode einen Style um 60%, entspricht das einem Wertverlust von knapp 15% im Einkaufspreis.

Rechnen wir das mal beispielhaft durch mit einem angenommenen Volumen an saisonaler Restware von 50.000 € zu Einkaufspreisen. 15% davon wären dann grob 7.500 €. Auch die bekäme der Einzelhändler jedoch nicht erstattet, sondern davon den erwähnt Prozentsatz. Bei Läden, die durch den Lockdown zumindest leicht gesteigerte Onlineumsätze haben, wären das in der Regel nur 40%. Für gerade kaum verkäufliche Ware im Einkaufswert von 50.000 € gäbe es dann um die 3000 € Unterstützung. Um neue Ware für einen 6-stelligen Betrag einzukaufen ist das nichtmal ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die Saisonwarenhilfe lässt sich steigern, in dem der Wertverlust mit 100% auf maximal gesetzt wird. Dann muss aber auch nachgewiesen werden, dass die Ware wirklich nicht mehr verkauft wird, auch nicht stark reduziert im nächsten Winter. Die Ware muss also vernichtet oder „wohltätig“ gespendet werden. Schon vor Corona war die Altkleiderflut so groß, dass die Verwertungsindustrie sie nicht mehr bewältigen konnte. Dann kam mit Corona die private Ausmistungswelle. Es ist absolut utopisch, dass die Verwertungsindustrie die Mengen an Restware aus den Läden wird aufnehmen können. Am Ende ist die Saisonwarenhilfe eine Abwrackprämie für Mode.

Das kommt natürlich für nachhaltige Stores nicht in Frage. In unserem Beispiel würde es die Hilfe jedoch auf 15.000 € steigern und damit verfünffachen. Auch das wäre zu wenig, um das Liquiditätsproblem des neuen Wareneinkaufs zu lösen, aber es wäre zumindest mal kein völlig irrelevanter Betrag.

Zwar bittet die Bundesregierung inzwischen explizit darum, Ware nicht zu vernichten, aber wenn sie dies wirklich verhindern wollte, müsste sie den Anreiz dazu abschaffen. Alternativ schlägt sie vor, den Wert auf 10% des Einkaufspreises abzuschreiben. Das hieße eine 100€-Jeans für 4€ im Sale anzubieten. Die Modehändler werden aufgefordert ihren eigenen Markt zu zerstören.


Einigen wird geholfen, anderen nicht.

Würden Modehändler nur für die beiden geschlossenen letzten Wochen im Dezember Hilfen nach dem Konzept der November- und Dezemberhilfen der Gastronomie und des Hotelgewerbes bekommen, wäre das ein Vielfaches von dem, was ihnen mit der sogenannten Überbrückungshilfe III für volle 10 Wochen Schließung zusteht. Trotzdem erweckt die Bundesregierung öffentlich den Eindruck, sie würde allen vom Lockdown betroffenen Unternehmen in großem Umfang Hilfen zur Verfügung stellen. Für einige Großkonzerne stimmt das ohne Frage. Viele kleinere Unternehmen überleben hingegen bisher nur, weil die Inhaber*innen Kredite aufnehmen oder ihre angesparte Altersvorsorge verwetten und in das Unternehmen stecken.

Wie du uns helfen kannst

Eine tolle finanzielle Hilfe ist - wie schon im Frühjahrslockdown 2020 - der Kauf von Gutscheinen im Onlineshop, die du dann später auch in unseren beiden Läden und natürlich genauso online einlösen kannst. Genauso helfen uns ganz normale Bestellungen im Onlineshop. Wenn du in Münster wohnst, kannst du sie per Click&Collect bei uns im AFAUN Store abholen und bekommst sie ansonsten mit dem Lastenrad geliefert. Deutschlandweit liefern wir mit DHL GoGreen.


Aber auch wenn du gerade nicht etwas kaufen möchtest, kannst du uns unterstützen. Wenn du Instagram oder Facebook nutzt, hilft es uns sehr, wenn du Posts von uns likest, teilst oder kommentierst. Auch Bewertungen für unsere Stores bei Google sind eine tolle Hilfe, denn so werden wir dort besser gefunden und können mehr Menschen von unseren Ideen und unserem Angebot überzeugen.

Für eine solidarische Bewältigung der Pandemie

Ohne Zweifel gibt es in dieser Pandemie noch wesentlich schlimmere Schicksale und Ungerechtigkeiten, als die Sorge um den Fortbestand eines Unternehmens. Sehr deutlich ist inzwischen, dass wir in dieser Krise keineswegs alle in einem Boot sitzen. Während Amazon, Zalando, AboutYou und Co Rekordgewinne einfahren und viele Menschen in sicheren Jobs die Entschleunigung, mehr Homeoffice und mehr Zeit in der Natur genießen, verlieren andere hier und noch viel häufiger im globalen Süden durch Corona ihre wirtschaftliche Existenz. Wir finden, dass ist einer so reichen Gesellschaft wie der unseren unwürdig. Wir fordern eine solidarische Bewältigung der Pandemie und die Bereitschaft zu ähnlich weitreichenden Maßnahmen auch bei anderen globalen Krisen, wie der Klimakrise und der Übernutzung unserer globalen Ressourcen.

Update 28.04.2021: Seit Ende März haben unsere Läden wieder offen, zumindest ein bisschen. Anders als im Lebensmitteleinzelhandel oder beim Friseur dürfen wir nur eine Person pro 40m² hereinlassen. Das sind bei gruene wiese dann 3, bei AFAUN 2 Personen. Diese Kund*innen benötigen zudem einen Termin, bzw. müssen wir bei spontanen Besuchen ihre Daten erfassen. Das geht inzwischen auch mit der Luca-App.

Bisher hat dieses Modell besser funktioniert, als wir erwartet haben. Wir hatten befürchtet, dass wir so wenig umsetzen, dass wir nicht einmal die Personalkosten decken können. So kam es aber zum Glück nicht und wir freuen uns sehr über die liebe lokale Unterstützung auch unter diesen erschwerten Bedingungen.

Umsätze wie im vergangenen Sommer - mit 1 Person auf 10m² und ohne Terminpflicht - sind mit den aktuellen Regeln jedoch nicht ansatzweise möglich. Dafür fehlen die Laufkundschaft, die Tourist*innen und eben überhaupt die Erlaubnis entsprechend viele Kund*innen gleichzeitig in die Läden zu lassen. Die Testpflicht hat die Straßen in der Innenstadt in der letzten Woche richtig leergefegt. Viele Läden internationaler Modemarken hatten schon bei Terminpflicht gar nicht, oder nur mit eingeschränkten Zeiten geöffnet. Mit der Testpflicht haben einige weitere wieder komplett geschlossen.

Noch immer ist keine wirkliche Verbesserung der Hilfen in Sicht. Da nun auch ein Großteil der Frühjahrssaison ausgefallen ist, dürfte das Warenproblem in dieser Saison noch wesentlich heftiger ausfallen als das vom Winter. Auch für die Frühjahrsware bietet die Regierung deshalb nun eine Abwrackprämie an.

Wir erwarten weiterhin eine richtige Entschädigung dafür, dass wir zum Schutz der Gesellschaft und insbesondere der Risikogruppen so lange schließen mussten und nun nur stark eingeschränkt öffnen dürfen. Es ist nicht einzusehen, warum vergleichsweise wenige einzelne Branchen und Unternehmer*innen die Kosten des Infektionsschutzes alleine tragen sollen. Ohne verbesserte Hilfen bleibt unsere finanzielle Situation abhängig von Inzidenzwerten und den daran geknüpften Regeln. Auf eine allgemeine Pflicht zu Homeoffice und Masketragen in Innenräumen bei der Arbeit, mit der sich die Inzidenz zu geringen Kosten drücken ließe, wird derweil weiterhin verzichtet.

Bundeswirtschaftsminister Altmaier sagte im vergangenen Jahr: "Wir haben so viele Reserven, dass wir versprechen können, dass wir alles tun werden, damit kein Arbeitsplatz wegen Corona verloren geht und kein gesundes Unternehmen schließen muss." Wenn wir uns nicht selbst geholfen und einen großen Kredit aufgenommen hätten, dann hätten wir die Rechnungen dieses Frühjahrs nicht bezahlen können. Gefragt nach den größten Fehlern bei der Unterstützung von Unternehmen in der Pandemie entgegnete Altmaier heute beim Kongress "Zukunft Stadt: "Ich würde nicht von Fehlern sprechen. Wir mussten ja lernen und haben fortwährend gelernt." Zumindest für den Modehandel ist beim Lernen bisher nicht viel herausgekommen.

Lars Wittenbrink